Es wäre wohl eine mediale Sensation und würde etliche Demonstrationen auf den Plan rufen, wenn die Autobahn GmbH des Bundes bekanntgeben würde, die Autobahn zwischen den zwei größten deutschen Städten über Monate vollständig zu sperren. Doch genau dies soll für eine so genannte Generalsanierung 2025 auf der Schienenstrecke zwischen Berlin und Hamburg, sowie bis Ende 2030 auf 39 weiteren Korridoren in Deutschland geschehen. Streckensperrungen haben für Lkw und Güterzug eine sehr unterschiedliche Bedeutung: Durch das dichte Streckennetz haben Lkw in den meisten Fällen einen deutlich kürzeren Umweg zu bewältigen als die Kolleg:innen im Güterzug. Während der Generalsanierung der Strecke Hamburg-Berlin, die von der DB Netz AG für das zweite Halbjahr 2025 geplant wird, sollen die Güterzüge aus Hamburg nach Berlin, Polen, Tschechien und weiter in Richtung Südosteuropa über Uelzen, Lehrte bei Hannover und Magdeburg umgeleitet werden. Mehraufwand gegenüber dem 267 Kilometer langen regulären Laufweg über Wittenberge: 160 Kilometer und – sofern es keine weiteren Störungen gibt – drei Stunden Fahrzeit extra. Bis zu 300 Kilometer Umweg sind auf anderen Strecken während der Generalsanierung möglich.
Für Lkw blieb es in den vergangenen Jahren auf der 237 Kilometer langen A 24 vom Horner Kreisel in Hamburg bis zum Autobahndreieck Berliner Ring bei – im doppelten Wortsinn – kurzen Vollsperrungen. Im Juni 2023 wurde beispielsweise an der Anschlussstelle zwischen Wittenburg und Zarrentin für rund sieben Stunden eine Vollsperrung eingerichtet. Die Umfahrung bedeutete sechs zusätzliche Kilometer abseits der Autobahn. Eine Vollsperrung über die gesamte Strecke von Hamburg nach Berlin findet auf der Straße nicht statt. Doch für den Güterzug würde auch eine punktuelle Vollsperrung den gleichen riesigen Umweg bedeuten, während Lkw bei einer hypothetischen Komplett-Sperrung der A 24 nicht wie der Güterzug eine völlig andere Richtung einschlagen müssten, sondern auf parallel liegende Autobahnen oder Landstraßen ausweichen könnten.
Die Generalsanierung ist unterstützenswert. Dennoch: Der zeitliche und finanzielle Mehraufwand, den Güterbahnen in den Jahren der Generalsanierung werden tragen müssen, wird enorm sein und das Image des Schienengüterverkehrs bei seinen Kunden dürfte leiden. Gleichzeitig tragen die Eisenbahnunternehmen keinerlei Verantwortung für die desaströse Situation im Netz. Sie sollten nicht die Zeche dafür zahlen, dass DB Netz und Bund bis 2030 ihre selbst eingestandenen Versäumnisse nachholen wollen. Der Ausgleich der so genannten Betriebserschwerniskosten (Umwegbedingte Mehrkosten für Lok, Personal, Energie, Wagenmiete) oder womöglich sogar an den Straßengüterverkehr verlorene Verkehre wären ein probates Gegenmittel, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene während der Generalsanierung zu erhalten – das ist auch im Sinne der politischen Wachstumsziele für die Schiene. Im Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG) könnte durch eine Ergänzung geregelt werden, dass Betriebserschwerniskosten im Zuge der Generalsanierung durch den Infrastrukturbetreiber und Bauherren DB Netz zu übernehmen und durch den Bund zu finanzieren sind. Dies wurde jedoch vom Verkehrsministerium in einer ersten Reaktion abgelehnt mit der Begründung, dass es solche Zahlungen im Straßenverkehr auch nicht gäbe. Allerdings lassen sich die bevorstehende Extremsituation für die Schienen-Unternehmen kaum mit den minimalinvasiven Sperrungen im dichten Netz des Straßenverkehrs vergleichen.
Ein ausgereiftes Umleiterkonzept liegt für die Strecke Hamburg-Berlin bisher nicht vor. Passende Rechtsgrundlagen für die Verteilung knapper Kapazität existieren ebenfalls nicht. Eine gute Vorleistung wäre die laufende Wiederherstellung des zweiten Gleises zwischen Stendal und Uelzen sowie die Elektrifizierung des dritten Gleises zwischen Berlin und Stendal. Weder das eine noch das andere soll jedoch nach Aussagen der DB Netz beschleunigt und vor die Vollsperrung gezogen werden. Vor allem der nur zweigleisige Abschnitt zwischen Lüneburg und Uelzen dürfte so zu einem Nadelöhr werden. Neben dem regulären Verkehr des Schienengüter- und Personenverkehrs zwischen Hamburg und Hannover werden dann fünf Monate lang auch die umgeleiteten Züge des Schienengüter- und Personenfernverkehrs die Strecke passieren müssen.